Ménage à trois auf Kantonswunsch

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2018 von Adrian Scherrer

Link zu den Jahrbüchern: stutz-medien.ch/jahrbuch-der-stadt-waedenswil

Kantonale Vorgaben führten zum Zusammenschluss

Den Anstoss für den Zusammenschluss von Schönenberg und Hütten mit Wädenswil per 1. Januar 2019 gab letztlich der Kanton. Spätestens seit 2006 die heutige Kantonsverfassung in Kraft trat, wirkte er in den meisten politischen Vorgaben auf grössere Gemeinden hin – genau wie andere Kantone auch. Die grundsätzliche Überlegung dahinter: Die Gemeinden sollen so organisiert sein, dass sie in der Lage sind, ihre Kernaufgaben autonom zu erfüllen. Je komplexer die Verwaltungsaufgaben werden, je höher der Anspruch an die Volksschule wird, je professioneller die Dienstleistungen der Gemeinden sein sollen, desto schwieriger wird es für kleine Gemeinden, ihre Eigenständigkeit zu bewahren.
Gemeindezusammenschlüsse sind freilich nichts Neues: Bei der Gründung des Bundesstaates 1848 zählte man in der Schweiz 3205 Gemeinden, 2018 waren es noch 2222 – ein Rückgang um satte 30 Prozent. Im europäischen Vergleich ist diese Zahl allerdings bescheiden. In Westdeutschland beispielsweise ging die Zahl der Gemeinden zwischen 1950 und 1980 auf ein Drittel zurück.
Längst etabliert ist es auch, dass Gemeinden einzelne Aufgaben regional gemeinsam erledigen: Zweckverbände für die Abfallverwertung, die Seewasserwerke oder für Spitäler gibt es seit den 1960er-Jahren. In den drei Berggemeinden Schönenberg, Hütten und Hirzel war zudem das Betreibungsamt seit 1996 in einem Zweckverband organisiert. Dieser Zweckverband «Betreibungsamt an der Sihl» wurde 2010 aufgehoben. Für Schönenberg und Hütten war von da an das Stadtammann- und Betreibungsamt Wädenswil zuständig. Zusammen mit der Übergabe des Zivilstandsamtes im Jahr 2003 an Wädenswil waren dies Vorboten des Gemeindezusammenschlusses per 2019.
221 Jahre waren Schönenberg und Hütten politisch eigenständige Gemeinden. Ihre Gründung geht zurück auf die Zeit der Helvetischen Republik, als Napoleon mit seinen Truppen in die alte Eidgenossenschaft einmarschierte und die bestehende Ordnung, das Ancien Régime, zum Einsturz brachte. Die Umwälzungen des Jahres 1798 beendeten die jahrhundertelange Abhängigkeit der Zürcher Landschaft von der Obrigkeit in der Stadt. Die Vorläufer der heutigen Gemeinden entstanden. Schönenberg, das kirchlich bereits selbständig war, trennte sich nun auch politisch von Wädenswil. Auch Hütten wurde eine eigenständige Gemeinde, blieb aber kirchlich noch bis 1824 bei Schönenberg.
Ab wann genau eine Gemeinde historisch gesehen als selbständig zu betrachten ist, hängt von der Interpretation ab. Denn politische Gemeinden im heutigen Sinn gibt es erst seit 1831, als im Kanton Zürich eine liberale, moderne Verfassung eingeführt wurde. Als Anfang der Selbstständigkeit gilt in Hütten die erste protokollierte Gemeindeversammlung von 1799, während für Schönenberg im Allgemeinen die vollständige Güterausscheidung mit Wädenswil als Beginn der vollen Selbständigkeit angesehen wird. Weil diese sich wegen Rechtsstreitigkeiten bis 1813 hinzog, war Schönenberg faktisch 206 Jahre selbständig.

Keine Herzensangelegenheit

Die politische Ausgangslage macht deutlich: Der Zusammenschluss ist keine Liebesehe, sondern eine vom Kanton gewollte Zweckheirat. Die Avancen gingen von den Berggemeinden aus. Insbesondere Hütten bekam in der Abstimmung über die Reform des kantonalen Finanzausgleichs am 15. Mai 2011 die Folgen der kantonalen Politik handfest zu spüren. Die Reform sah vor, dass es nach einer Übergangsfrist bis und mit 2017 keinen Maximalsteuerfuss mehr geben sollte. Zwar sorgt der Finanzausgleich im Grundsatz dafür, dass alle Gemeinden ihre Aufgaben wahrnehmen können, ohne dass die Steuerfüsse reicher und armer Gemeinden weit auseinanderklaffen. Aber die Reform enthielt mit dem Verzicht auf einen Maximalsteuerfuss von Anfang auch an einen Hebel, um finanzschwache Gemeinden zum Zusammenschluss mit potenteren Gemeinden zu bewegen. Kantonsweit wurde die Reform mit über 70 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Acht kleine Gemeinden wurden einfach überstimmt. In Hütten sagten nur 36 Prozent Ja.
Schon 2011 war in Hütten klar, dass man auf Brautschau gehen musste. Eine Konsultativumfrage des Gemeinderates bestätigte Anfang 2014 diese Einsicht. Im rund doppelt so grossen Schönenberg hingegen war die Ausgangslage anders. Finanzpolitisch stand die Gemeinde auf durchaus soliden Füssen. Aber die Einwohnerzahl stagnierte seit 2009, die Schülerzahlen waren auf Sinkflug und die Zahl der über 65-Jährigen nahm zu. Es zeichneten sich steigende Kosten ab – zum Beispiel im Bereich der Pflegefinanzierung. Gleichzeitig war aufgrund des kantonalen Planungs- und Baugesetzes Wachstum kaum mehr möglich. Im Kanton Zürich sehen die Richtpläne vor, dass Wachstum nicht im ländlichen Bereich, sondern durch Verdichtung in den bereits bebauten Gebieten entlang der Hauptstränge der S-Bahn stattfinden soll. Ein weiteres Argument waren die Kosten der Verwaltung: In einer kleinen Gemeinde sind sie pro Kopf der Bevölkerung höher als in grossen Gemeinden.
Angesichts dieser Perspektiven beauftragte die Gemeindeversammlung den Schönenberger Gemeinderat im Dezember 2011, Strategien für die Zukunft der Gemeinde zu erarbeiten. Die Analyse ergab, dass der selbständige Weiterbestand finanzpolitisch schwierig werden könnte. So kam es im November 2013 zu einer Bevölkerungsumfrage, ob der Zusammenschluss mit Wädenswil zu suchen sei. Im Januar 2014 sprachen sich knapp 60 Prozent der Befragten dafür aus, die Fusion zu prüfen. Der Gemeinderat setzte daraufhin an einer seiner letzten Sitzungen vor den Wahlen im Frühling 2014 eine Grundsatzabstimmung im September jenes Jahres an, an der über die Aufnahme von Verhandlungen mit Wädenswil entschieden werden sollte.
Die Wahlen verschoben die Gewichte zwischen Befürwortern und Gegnern eines möglichen Zusammenschlusses. Der neu zusammengesetzte Gemeinderat setzte die geplante Grundsatzabstimmung über diese Frage kurzerhand ab. Darauf sammelten die Befürworter des Zusammenschlusses Unterschriften und reichten im August 2014 eine Initiative ein, die 495 Personen unterzeichnet hatten – mehr als ein Drittel aller Stimmberechtigten. Am 30. November 2014 wurde die Initiative bei einer hohen Stimmbeteiligung von 72 Prozent mit einer komfortablen Mehrheit von fast zwei Dritteln angenommen.
Der Wanderer von Hütten lässt sich als Beobachter durch nichts erschüttern.

«Akt der Solidarität»

Auch in Hütten wurde eine Abstimmung angesetzt: Am 8. März 2015 sprachen sich die Stimmberechtigten mit über 80 Prozent Ja-Stimmen für die Aufnahme von Verhandlungen mit Wädenswil über einen Zusammenschluss aus. Abgestimmt wurde auch über die Frage, ob mit Richterswil oder Wädenswil verhandelt werden solle. Die Antwort fiel mit grossem Mehr für Wädenswil aus.
Der Wädenswiler Stadtrat zeigte sich seinerseits von Anfang an offen für Verhandlungen, machte aber klar, dass weder Sonderrechte für die Einwohnerinnen und Einwohner der Berggemeinden noch eine Steuererhöhung in Frage kämen. Das Parlament stimmte am 28. September 2015 zu und erteilte dem Stadtrat ein Verhandlungsmandat.
Schon im Dezember lag eine erste Modellrechnung für die erweiterte Gemeinde vor. Im Januar 2016 luden die drei Gemeinden in die Kulturhalle Glärnisch zu einer Informationsveranstaltung ein, die den Auftakt zu den Verhandlungen bildete. Der Entwurf für den Zusammenschlussvertrag wurde Anfang Juni an einer weiteren Veranstaltung der Bevölkerung vorgestellt. Bereits im September war die Vernehmlassung abgeschlossen und der Stadtrat legte dem Wädenswiler Parlament den Vertrag für den Zusammenschluss vor.
Auch wenn in den politischen Debatten meist von einem Zusammenschluss oder einer Fusion gesprochen wurde, handelt es sich rechtlich gesehen um eine Eingemeindung. Der Vertrag liess daran keinen Zweifel offen. Denn die Stadt Wädenswil besteht als erweiterte Gemeinde weiter, während die bisherigen Gemeinden Schönenberg und Hütten ab 1. Januar 2019 aufhören zu existieren. Der Wädenswiler Gemeinderat stimmte am 23. Januar 2017 der Eingemeindung mit 26 zu 6 Stimmen zu. Unüberhörbar war in der Parlamentsdebatte, dass der Zusammenschluss der Stadt Wädenswil keine Vorteile bringe, sondern dass es sich um einen «Akt der Solidarität» mit den Berggemeinden handle.
So war der Weg frei für die historische Urnenabstimmung vom 21. Mai 2017 über den Zusammenschluss von Schönenberg und Hütten mit Wädenswil. Während in Hütten und Wädenswil die Meinungen so weit gemacht waren, dass kaum mehr debattiert wurde, gingen in Schönenberg die Wogen hoch. Ein erbitterter Abstimmungskampf zeigte einen tiefen Graben zwischen Befürwortern und Gegnern des Zusammenschlusses, der quer durch die Bevölkerung ging. Er spiegelte sich auch in den Resultaten: Eine deutliche Mehrheit von 56 Prozent sagte zwar Ja, aber in Hütten stimmten fast 80 Prozent zu und in Wädenswil immerhin 69 Prozent der Stimmberechtigten. Die Stimmbeteiligung war in Hütten mit 83 Prozent und in Schönenberg mit knapp 81 Prozent extrem hoch, während sie in Wädenswil bei 50 Prozent lag.
Auch im Schönenberger Gemeinderat waren die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern des Zusammenschlusses tief. Sie gipfelten bereits im Frühling 2016 in einer Aufsichtsbeschwerde gegen den Finanzvorstand, der bei den Erneuerungswahlen im Frühjahr 2018 nicht mehr antrat.

Beschwerde bis vor Bundesgericht

Geplant war der Zusammenschluss auf den 1. Januar 2018, so dass die Wahlen im Frühjahr dieses Jahres bereits in der erweiterten Gemeinde stattgefunden hätten. Doch es sollte anders kommen. Nach der Abstimmung reichten vier Schönenberger eine Gemeindebeschwerde gegen die Abstimmung beim Bezirksrat Horgen ein. Sie machten geltend, dass der Zusammenschlussvertrag gegen übergeordnetes Recht verstosse. Im September wies der Bezirksrat die Beschwerde ab, worauf die Beschwerdeführer den Fall an das Verwaltungsgericht weiterzogen.
Ein Zusammenschluss auf den 1. Januar 2018 war nicht mehr realistisch. Am 29. September 2017 gab die Steuergruppe bekannt, dass die Eingemeindung um ein Jahr verschoben werden müsse. In der Steuergruppe waren alle drei Gemeinden vertreten, um den Zusammenschluss vorzubereiten. Es war ein folgenreicher Entscheid: Die Wahlen im Frühjahr 2018 fanden nun vor dem Zusammenschluss statt, so dass keine Kandidatinnen und Kandidaten aus den Berggemeinden in Wädenswil teilnehmen konnten. In der erweiterten Gemeinde Wädenswil sind die neuen Dorfteile Schönenberg und Hütten von 2019 bis zu den Neuwahlen 2022 nicht in den Behörden vertreten. Einzige Ausnahme: Die Oberstufenschulgemeinde, in der schon seit 1963 alle drei Gemeinden zusammengeschlossen sind.
Die Vorbereitungen zum Zusammenschluss führten die Gemeinden indes weiter – im «vollen Vertrauen, dass das Verwaltungsgericht die Beschwerde ablehnen» werde, wie es in der Mitteilung hiess. Tatsächlich lehnte das Verwaltungsgericht am 25. April 2018 die Beschwerde ab. Doch die Beschwerdeführer liessen nicht locker. Sie zogen den Entscheid ans Bundesgericht weiter und beantragten aufschiebende Wirkung. Diese lehnte das Bundesgericht im Juli ab. Das Urteil steht zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses des Jahrbuchs noch aus. Dennoch genehmigte der Regierungsrat den Zusammenschlussvertrag am 22. August 2018.




Adrian Scherrer